Domenikos Theotokópoulos, genannt El Greco Candia (heute Iraklion), 1541 Toledo, 1614
"Entkleidung Christi" (um 1582/85)
Öl auf Leinwand, 188 x 129 cm, Toledo, Museo de Santa Cruz

Nach fast zehnjährigem Aufenthalt in Venedig und in Rom, der den kretischen Ikonenmaler mit den Werken der großen Künstler der Renaissance bekannt gemacht und ihn in der Manier der modernsten und führenden italienischen Maler, wie Tintoretto zu arbeiten gelehrt hatte, entschloß sich El Greco Italien zu verlassen, um sein Glück in Spanien zu versuchen. Er hatte die Bekanntschaft einflußreicher Spanier gemacht, die ihm Hoffnung auf große Aufträge, die zu erhalten ihm in Italien nicht geglückt war, machten und vielleicht sogar eine Anstellung als Hofmaler König Philipps II. möglich erscheinen ließ.

Während sich die erhoffte Tätigkeit für den König nicht verwirklichen ließ, gelang es dem Künstler im spanischen Klerus seinen hauptsächlichen Auftraggeber zu finden. Daß er in Toledo, dem Zentrum des spanischen Katholizismus, ansässig wurde, war dabei nur folgerichtig. El Grecos erste dokumentarische Erwähnung in Toledo am 2. Juli 1577 steht in Zusammenhang mit dem Auftrag des Dekans der Kathedrale, Diego de Castilla, für die Sakristei ein großes Bild mit einer Darstellung der Entkleidung Christi zu malen. El Greco schuf mit diesem Bild das Hauptwerk seiner frühen spanischen Zeit, das sich durch hohe formaleOriginalität, wie durch inhaltliche Erfindungskraft auszeichnet.

Das Thema der Entkleidung kommt in den Evangelien nicht vor, es ist nur vom Gewand Christi die Rede, um das die Soldaten nach seiner Kreuzigung würfelten. Neben den apokryphen Evangelien wurden vor allem die Meditationen über die Passion Christi des hl. Bonaventura als Textquelle vorgeschlagen, wie etwa für die Frauen im Vordergrund sowie das Seil, an dem Christus gezogen wird. El Greco fand eine sehr persönliche Lösung, die völlig unabhängig von anderen Darstellungen des Themas verschiedene Motive griechischer Passionszyklen miteinander vereinte, vor allem den Judaskuß und die Gefangennahme, aus der die zentrale Stellung Christi mit den dicht herangedrängen Figuren übernommen ist. Der Moment der Darstellung umfaßt gleichsam die gesamte Passion, der mit der Vorbereitung des Kreuzes beschäftigte Knecht rechts verweist auf die bevorstehende Kreuzigung, die Gruppe der Frauen links auf die vorangegangene Kreuztragung.

Dieses Bild stellte für El Greco eine große künstlerische Herausforderung dar, deren Resultat er selbst so hoch einschätzte, daß seine Honorarforderung einen langjährigen Streit mit dem Domkapitel nach sich zog. Im Streit um den Wert des Bildes fanden die im Dienst der Kathedrale beschäftigten Schätzer nicht nur, daß es weniger wert wäre als die bereits getätigte Vorauszahlung von 1500 reales Greco hatte ursprünglich 9900 reales gefordert - sondern sie kritisierten auch auf inhaltliche Mängel, wie die Christus überragenden Figuren oder die unzulässige Anwesenheit der drei Frauen. Nach der Einigung auf 2000 reales als Endhonorar sah man auch davon ab, El Greco das Bild korrigieren zu lassen.

Nicht weniger als 17 Repliken und Werkstattkopien beweisen die Berühmtheit und Vorbildlichkeit der Komposition. Die in der El Greco-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum gezeigte und hier abgebildete Version aus dem Museo de Santa Cruz in Toledo stimmt mit der Erstfassung der Kathedrale in Toledo weitgehend überein; sie dürfte unter Beteiligung der Werkstatt und damit nicht vor 1585 entstanden sein.

Karl Schütz