Peter Paul Rubens (1577 – 1640)
"Das Venusfest" (Wien, um 1636/37)
Leinwand, 217 x 350 cm, Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, Inv. Nr. 684

Das Venusfest führt wie kein zweites Werk des Künstlers seinen weiten humanistischen Bildungshorizont, wie auch die Fähigkeit von Rubens vor Augen, mannigfaltige literarische und bildkünstlerische Anregungen durch freie Bearbeitung und eigenes Zutun vollkommen umzuformen und doch ein vollendetes Kunstwerk entstehen zu lassen. Er schuf in mehreren Arbeitsphasen eine weiterwachsende, sich nach den Seiten ausdehnende Komposition, die sich durch Anstückungen und Vergrößerungen der Leinwand an den Seiten äußert, und die trotz ihrer gedanklichen wie inhaltlichen Komplexität ein außerordentlich harmonisch aufgebautes Gemälde ergibt.

Der Ausgangspunkt der Darstellung liegt in der Bildmitte. Hier begann Rubens die Arbeit mit einer frei kopierten Kompositionsvariante nach einem Werk von Tizian, das meist Huldigung an Venus betitelt wird und das der Künstler 1519 für Alfonso d’Este, Herzog von Ferrara zur Ausschmückung seines Camerino d’alabastro geschaffen hatte (heute im Museo del Prado in Madrid). Tizian seinerseits hielt sich bei seinem Bild auf Wunsch seines Auftraggebers an eine antike literarische Vorlage, nämlich eine Beschreibung eines mit Liebesgötter betitelten Gemäldes in den Eikones Philostrats des Jüngeren, einer Sammlung von 65 rhetorisch ausgeführten Bildbeschreibungen einer antiken neapolitanischen Pinakothek, geschrieben in der 1. Hälfte des 3. Nachchristlichen Jahrhunderts in griechisch und von Humanisten der Renaissancezeit ins Italienische übersetzt. Geschildert wird das Treiben von Äpfel erntenden, sich balgenden und küssenden Eroten in einem Obstgarten. In der Nähe befindet sich eine Felsgrotte, aus der )Wasser zu den Bäumen fließt, mit einem von Nymphen geschmückten Kultbild der Liebesgöttin Aphrodite.

Rubens hat dieses Bild, wie sein Gegenstück, nicht nur kopiert (heute im Museum in Stockholm), sondern in der vorliegenden Komposition selbständig umgestaltet. Gleichzeitig hat Rubens das Thema präziser gefaßt. Nicht mehr die allgemein gehaltene Beschreibung Philostrats ist Grundlage, sondern eine moderne Interpretation des römischen Festes der Venus Verticordia ist geschildert, dessen Beschreibung Rubens in den Fasti des Ovid vorfand und deren Wahl als Vorlage seine antiquarisch-archäologischen Interessen widerspiegelt. Am 1. April, so schreibt Ovid, wurden Latiums Frauen, Mütter, Bräute, junge Mädchen, aber auch Dirnen aufgefordert, das Kultbild der Venus Verticordia, der die ungeordneten Begierden abwendende Venus, zu reinigen und mit Blumen zu schmücken, auch sich selbst zu waschen und zu kämmen und die keusche Göttin mit Opfergaben, unter anderem Puppen, Spiegel und Kämme, zu beschenken. Dieser Darstellung in der Bildmitte und der rechten Bildhälfte steht die ungezügelte triebhafte Seite links. Drei Paare ekstatisch umschlungener Nymphen und Satyrn tanzen vor einer Grottenarchitektur, aus der Wasser strömt und eine große Brunnenschale fällt, auf deren Rand vornübergebeugt ein Amor kniet und gierig seinen Durst löscht. Weiter im Hintergrund ist ein Rundtempel mit korinthischen Säulen zu sehen.

Die Anstückung am oberen Bildrand mit einer schweren Girlande aus Früchten und Ähren ermöglicht ein kompositorisches Gegengewicht zu den ausgelassenen Reigentänzen der Eroten im Vordergrund. Das Bild entstand in den letzten Lebensjahren von Rubens und zeigt seinen reifen, malerisch gelösten Spätstil, in dem er sich, die Verwandtschaft der malerischen Probleme erkennend, immer mehr dem freien Stil von Tizians Spätwerk annäherte.

(Zusammenfassung nach F. Baudouin, Flämische Malerei im Kunsthistorischen Museum Wien, 1989 und W. Prohaska, Führer durch die Sammlungen des Kunsthistorischen Museums, Wien 1988)