Luca Giordano (Neapel 1634 – 1705 Neapel)
"Der Erzengel Michael stürzt die abtrünnigen Engel in den Abgrund"
Öl auf Leinwand, 419 x 283 cm, bezeichnet rechts unten: “IORDANVS: F.”, um 1666, Wien,
Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, Inv. Nr. 350

Luca Giordano war, von seinen Reisen, die ihn nach Venedig, Florenz, Rom und nach Spanien führten, abgesehen, vor allem in seiner Heimatstadt Neapel als der wichtigste und einflußreichste Maler der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tätig. Seine große Produktivität, durch eine sprichwörtlich gewordene Schnelligkeit des Malvorgangs und Leichtigkeit des Schaffens begünstigt und die großen spätbarocken Formate seiner Bilder ermöglichen eine fast allgegenwärtige Präsenz seiner Werke in Neapel. Es wäre jedoch ein Fehler, seine Bilder aus diesem Grund für bloß dekorativ oder oberflächlich zu halten. Intellektuell anspruchsvolle Allegorien wie tiefsinnige religiöse Darstellungen zeigen die inhaltliche Spannweite seiner Werke, die Kenntnis der verschiedenen künstlerischen Strömungen seiner Zeit und die virtuose Beherrschung verschiedener Stile, die bis zur täuschenden Nachahmung reichen kann, demonstrieren die formale Vielfalt seines Schaffens.

Die Darstellung des Erzengels Michael, der die abtrünnigen Engel in den Abgrund stürzt, zählt als Bild des Triumphs der gegenreformatorischen und damit militanten katholischen Kirchezum gängigen Repertoire der barocken Kunst in Italien und den angrenzenden Ländern der Alpen und Süddeutschlands. Auch Luca Giordano hat das Thema mehrmals dargestellt. Hier wird auf den in der Bibel vom Propheten Jesaias genannten Thron Luzifers angespielt, von dem er, in die Tiefe stürzend, zu gleiten scheint. In dem heute in der Wiener Galerie befindlichen, um die Mitte der sechziger Jahre entstandenen Bild greift Luca Giordano wie bereits in seinen Jugendwerken erneut auf das Vorbild der Hell-Dunkel-Malerei seines älteren in Neapel tätigen Vorgängers Jusepe Riberas zurück. Während sich in den Figuren der in den Abgrund stürzenden, mit dem vielfältigen Ausdruck des Schreckens, der Verzweiflung und Wut gekennzeichneten Dämonen das Vorbild Riberas manifestiert, bildet die strahlende, in hellen und leuchtenden Farben dargestellte Figur des Erzengels auch malerisch durch einen dünneren und durchsichtigen Farbauftrag den größten denkbaren Kontrast. Luca Giordano beruft sich hier auf ein gegensätzliches Vorbild, das in der in Bologna heimischen Malerei des Guido Reni festzumachen ist. Dieser Wechsel der Vorbilder und damit des Stils innerhalb einer Komposition erscheint charakteristisch für Luca Giordano und für seine große Beweglichkeit, die ihm erlaubte, sich gleichsam spielerisch verschiedener Möglichkeiten nebeneinander zu bedienen.

Es ist bemerkenswert, daß der ursprüngliche Bestimmungsort einer so großen und bedeutenden Komposition völlig unbekannt ist. Das Bild taucht zum ersten Mal im späten 17. Jahrhundert bereits in Wien auf. Die sehr reichen Freiherrn Bartolotti von Partenfeld ließen auf eigene Kosten nach der Türkenbelagerung 1683 die in schlechtem Zustand befindliche Kapelle des heiligen Ludwig bei der Wiener Minoritenkirche renovieren und den Altar mit einem „werthvollen Bilde, den heiligen Michael mit dem Sturze der Engel darstellend, das auf 5000 Gulden geschätzt wurde“ versehen. Die erste Messe nach der Renovierung wurde am Michaelstag 1698 gelesen. 1784 brachten die Minoriten das Bild in die ihnen als neue Heimstatt zugewiesene ehemalige Trinitarierkirche in der Alser Straße. Kurz darauf ersuchte der damalige Direktor der kaiserlichen Gemäldegalerie Joseph Rosa im Namen Kaiser Josephs II. um Übergabe des Bildes an die erst jüngst im Oberen Belvedere neu eingerichtete Galerie, in der es seither als eines der bekanntesten Hauptwerke ununterbrochen ausgestellt ist.

Karl Schütz