FRIEDRICH AMERLING (1803 - 1887):
“Mädchen mit Strohhut”, (1835)
Wien, Österreichische Galerie Belvedere, Inv-Nr. 3657

Friedrich von Amerling war der größte Porträtist der Wiener Biedermeierzeit, dessen hervorragendste Gabe darin bestand, Menschlichkeit und Repräsentation, malerische Virtuosität und Wirklichkeitstreue in seinen Bildern zu einer harmonischen Einheit zu verbinden. Niemand sonst hat Kaiser Franz I. von Österreich mit einem derart tiefen Verständnis für den von der Last der Verantwortung Gezeichneten dargestellt, kein anderer Maler hat es verstanden, so spontane, scheinbar schnell hingeworfene Porträtstudien zu malen vom unvergleichlichen Schmelz farbiger Gestaltung ganz zu schweigen.

Amerling konnte sich in die Menschen, die er porträtieren sollte, einfühlen egal, ob es sich um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, um bürgerliche Auftraggeber, um Freunde oder um Kinder handelte. Seine Porträts geben das Bild einer Gesellschaft wieder, zu deren Eigenheiten das Hin-und-her-Pendeln zwischen Repräsentationsbedürfnis und häuslicher Zurückgezogenheit gehörte. Diese Gemälde zählen künstlerisch zum Besten, und Anspruchvollsten, was die Wiener Malerei des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat.

Zu keiner Zeit wurde dieses Faktum ernsthaft in Frage gestellt. Amerling ist folgerichtig eine hervorragende und unbestrittenen Größe der Wiener Malerei und hat seinen festen Platz in den einschlägigen Sammlungen und Museen. Als Vermittler eines Menschenbildes ist er der Repräsentant eines Lebensgefühls, dem man seit der Wiederentdeckung des Biedermeier am Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer gewissen und nicht immer begründbaren Nostalgie nachhängt. Amerling ist aber auch ein Maler, dessen malerische Handschrift in der Behandlung und Wiedergabe des Lichts im Bild zu den großen Leistungen der Malerei gehört.

Umso erstaunlicher mutet es an, daß es seit der Nachlaß-Ausstellung von 1888 und einer kleinen Ausstellung in der Österreichischen Galerie im Jahr 1928, die beide nur von kümmerlichen Katalogheftchen begleitet wurden, nie mehr eine monographische Präsentation seines Werkes gegeben hat und daß daher die Ausstellung der Österreichischen Galerie Belvedere zur Wiederkehr von Amerlings 200. Geburtstag fast als längst fällige Premiere bezeichnet werden konnte. Über das Warum können nur Mutmaßungen angestellt werden, möglicherweise fürchtete man, das Publikum mit allzuvielen Bildnissen zu langweilen, denn Amerling war ja in allererster Linie Porträtmaler.

Aber eben dieser Maler vermittelt das Bild des Menschen jener Zeit überzeugend und doch wahrscheinlich weitgehend authentisch somit gab es einen triftigen Grund für die Verwirklichung des Ausstellungsprojekts vor allem in Hinblick auf das seit einigen Jahren wachsende Interesse der Kunstgeschichte und des Publikums am Menschenbild vergangener Tage. Im übrigen besitzt das Belvedere die größte Sammlung von Gemälden Amerlings, was im Verein mit dem Geburtstagsjubiläum eine weitere Motivation für die Abhaltung der Ausstellung und des mit der vorliegenden CD dokumentierten Konzertes bildete.

Außerdem feierte die Österreichische Galerie Belvedere Geburtstag: Vor 100 Jahren, imJahr 1903, wurde das Musem im Unteren Belvedere als „Moderne Galerie“ eröffnet und 1911, zugleich mit einer umfassenden Erweiterung des Sammelprogramms in „k.k. Österreichische Staatsgalerie“ umbenannt. 1921 entstand der heute gültige Museumsname "„Österreichische Galerie“, dem vor wenigen Jahren das Wort „Belvedere“ hinzugefügt wurde.

HR Dr. Gerbert Frodl
Direktor der Österreichichen Galerie Belvedere