PETER PAUL RUBENS (1577 - 1640)
"Die Himmelfahrt Mariens" (um 1613/20)
Öl auf Eichenholz, oben halbrund, 458 x 297 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv. Nr. 518
Während die emporblickende Jungfrau Maria in einer Wolkenglorie umgeben von zahlreichen Engelputten in den Himmel getragen wird,
ist die Aufmerksamkeit der auf der Erde zurückbleibenden Apostel und gläubigen Frauen geteilt. Links sind drei Jünger in herkulischer Anstrengung
beschäftigt, eine große Steinplatte vom Höhlengrab wegzuwälzen, in der Mitte betrachtet die Gruppe der Frauen, denen sich ein Apostel mit erstaunt
ausgebreiteten Armen zuwendet, die Rosen und Lilien, die anstelle der Toten im Grab zurückgeblieben sind, die anderen wenden sich himmelwärts, so
als ob sie mit erhobenen Armen der himmelwärts getragenen Maria nachblicken würden. Die Darstellung folgt dem legendenhaft ausgeschmückten Bericht
in der hochmittelalterlichen Legenda aurea, während die Schilderung der Engelsglorie und der Frauen von der zeitgenössischen jesuitischen
Andachtsliteratur angeregt ist.
Rubens hat im Lauf seiner Tätigkeit das Thema der Himmelfahrt Mariens oftmals gemalt. Das vorliegende, in einem komplizierten und langwierigen
Entstehungsvorgang geschaffene Bild scheint die früheste monumentale Gestaltung zu sein. Seine Entstehung hängt mit dem Auftrag für das Hochaltarbild
der Antwerpener Kathedrale zusammen. Rubens war 1608 als junger Künstler von 31 Jahren nach einem achtjährigen Aufenthalt in Italien in seine
Heimatstadt Antwerpen zurückgekehrt. Seine Bekanntheit und sein künstlerischer Ruhm eilte ihm voraus, er wurde bald von den niederländischen Regenten
Erzherzog Albrecht und Infantin Isabella zum Hofmaler ernannt und erhielt sowohl vom Jesuitenorden, wie von der Bürgerschaft Antwerpens wichtige Aufträge.
Nach dem großen dreiflügeligen Altar mit der monumentalen Kreuzaufrichtung für die Walburgiskirche in Antwerpen von 1610 (heute in der Kathedrale)
wurde Rubens und sein Lehrer Otto van Veen 1611 eingeladen, Entwürfe für einen neuen Hochaltar der Kathedrale in Antwerpen mit einer Darstellung
der Himmelfahrt Mariens vorzulegen. Rubens präsentierte zwei Skizzen mit unterschiedlichen Kompositionen. Ein Bild (heute Eremitage, St. Petersburg)
zeigt die Auffindung des leeren Felsgrabs durch die frommen Frauen und kombiniert dies mit der Krönung der knieenden Maria durch Christus, das andere
Bild zeigt die Apostel und Frauen um einen offenen Sarkophag geschart (London, Royal Collection). Unser Bild kombiniert die untere Gruppe des einen
Bildes mit der von einer Engelsglorie umgebenen Maria des zweiten Bildes.
Die Erteilung des Auftrags verzögerte sich, einige Jahre später, 1618 präsentierte Rubens dem Domkapitel erneut zwei Entwürfe, den Auftrag erhielt
er 1619, das Bild, das sich heute noch an Ort und Stelle befindet, wurde etwa fünf oder sechs Jahre später abgeliefert. Etwa zur gleichen Zeit, Ende
März 1620, erhielt Rubens vom Jesuitenkolleg den Auftrag für 39 Deckenbilder für die neuerbaute Kirche des Ordens St. Karl Borromäus. Gleichzeitig
verpflichtete sich der Maler gleichsam als Draufgabe ein Altarbild für eine der Seitenkapellen zu liefern. Ökonomisch denkend wie immer entschied
sich Rubens dafür, das nach 1611 begonnene, aber nicht vollendete Altarbild mit der Himmelfahrt zu überarbeiten und abzuliefern. Erst damals wurde
die deutliche Trennung der beiden Figurengruppen, die sich auch maltechnisch vom übrigen Bild unterscheidet, vorgenommen.
Von 1621 bis zur Aufhebung des Jesuitenordens in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts befand sich das Altarbild in der rechten Seitenkapelle
der Jesuitenkirche in Antwerpen. 1775 wurde es von Joseph Rosa, dem Direktor der kaiserlichen Gemäldegalerie zusammen mit mehr als zwanzig anderen
Bildern die dem Jesuitenorden gehörten, unter anderem den großen Altarbildern mit den Wundern des Hl. Ignatius und den Wundern des Hl. Franz Xaver
für die Wiener Galerie gekauft.
Karl Schütz