TIZIAN (Tiziano Veccelli) (um 1488/90 - 1576)
"Violante" (um 1510-15)
Holz, 65,5 x 51 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv. Nr. 65

Dieses Bild, seit dem 19. Jahrhundert unter dem Namen "Violante" bekannt, ist eines der schönsten Porträts aus Tizians Frühzeit. Es gehört zu einer in der venezianischen Renaissancemalerei um 1500 entstandenen Bildgattung, die belle donne, schöne junge Frauen einfach um ihrer Schönheit willen darstellt. Bei vielen der so Porträtierten wird es sich wahrscheinlich um Kurtisanen gehandelt haben, deren Zahl in Venedig, damals eine durch den Handel mit dem östlichen Mittelmeer internationale Großstadt, besonders groß war. Die hier dargestellte junge Frau ist durch den Kontrast der gebleichten blonden Haare, die dem Schönheitsideal der venezianischen Damen entsprachen, mit ihren dunklen, intensiv auf den Betrachter gerichteten Augen sehr attraktiv. Die leichte Drehung des Oberkörpers und der angedeutete Blick über die Schulter machen das Bild unmittelbar und lebendig.

Schon die ersten schriftlichen Quellen sind voll von überschwänglicher Begeisterung über die Schönheit und Anziehung der in unserem Bild Dargestellten. Der venezianische Maler und Kunstschriftsteller Carlo Ridolfi schreibt in der Tizianbiographie in seinem 1646 erschienenen Buch Meraviglie dell'arte über unser Bild: "Eines der hervorragendsten Bildnisse war jenes einer gewissen Dame, genannt la gattina, das Kätzchen, mit auf die Schultern herabfallendem Haar, mit einem roten Band zusammengebunden, glänzend wie gesponnenes Gold. Ihr Inkarnat schien wie von Lilien gebildet, übersät von Rosen und die Lippen in der Farbe von kostbarem Carmesinrot. Sie stand da in majestätischer Haltung und schaute einem mit so freundlichem Blick ins Gesicht, daß man sich größeren Charme oder höhere Anmut kaum vorstellen kann". Das Bild hatte sich im frühen 17. Jahrhundert in der Sammlung des Bartolommeo della Nave, einer der größten und bedeutendsten Sammlungen von Gemälden des 16. Jahrhunderts in Venedig befunden. Als die Sammlung an den Marquess of Hamilton, der zum Kreis der Berater um König Karl I. von England gehörte, verkauft werden sollte, wird das Bild im 1636/37 verfaßten Verkaufsverzeichnis erwähnt als "A picture of a woman called the fair catt a rare piece". In den Wirren des englischen Bürgerkriegs, in dem sowohl der König, wie auch Hamilton hingerichtet wurden, gelang es, die Sammlung in die Niederlande zu schmuggeln, bevor sie vom englischen Parlament beschlagnahmt werden konnte. Erzherzog Leopold Wilhelm, Statthalter der spanischen Niederlande, kaufte die Bilder Hamiltons 1649; auf den zahlreichen Galeriebildern erscheint das Bild immer im Vordergrund, Zeichen der besonderen Wertschätzung, das es auch bei dem habsburgischen Sammler genoß.

Im zehn Jahre später verfaßten Inventar der Sammlung, als sich die erzherzogliche Galerie bereits in Wien befand, begegnet uns das Porträt der schönen Venezianerin wieder als "Contrafait einer venetianischen Damen. La bella gatta genant, vom alten Palma Original". Auffallenderweise diesmal mit einer Zuschreibung an Palma Vecchio, den Zeitgenossen Tizians. Hier kommt ein anderes Bild Tizians ins Spiel, die Andrier, einer der für Alfonso d'Este gemalten Bacchanale. Ridolfi schreibt, daß ein in der Mitte des Bildes dargestelltes Mädchen mit Namen Violante - deswegen trägt sie im Brustausschnitt und hinter dem Ohr Stiefmütterchen (viola) - die Geliebte Tizians gewesen sei. In der Tat trägt sie am Busen ein Spruchband mit dem Namen des Malers. Wenige Jahre nach Ridolfi schreibt Boschini, ein anderer venezianischer Kunstschriftsteller, Violante sei die Tochter Palma Vecchios gewesen. In diesem Zusammenhang ist wohl die Umbenennung des Porträts bei Leopold Wilhelm zu sehen. Auch hier trägt die Schöne ein Stiefmütterchen im Dekolleté. Die drei Farben der Blume wiederholen sich im farbigen Aufbau des gesamten Bildes. Aber erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts erhält sie in einem der Galeriekataloge die Bezeichnung Violante, wohl in Anlehnung an die von Ridolfi überlieferte Geschichte. Damals trug das Bild noch immer die Zuschreibung an Palma Vecchio. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird es wieder als ein Hauptwerk aus Tizians Jugendzeit gewürdigt.

Karl Schütz